Der Kalender der Tukano2
Denken und wirtschaften in natürlichen Kreisläufen: Teil 13 der Wissensserie!
Die Tukano sind eine der größten Volksgruppen, die im Einzugsgebiet des Rio Negro leben. Genauer gesagt am Rio Tiquié, einem der mächtigsten seiner 700 Nebenflüsse. Gemeinsam mit unseren Partnerorganisationen ISA und FOIRN halten in der Region seit vielen Jahren sogenannte „Umweltbeauftragte“ (portugiesisch AIMA) Beobachtungen über die Zusammenhänge zwischen landwirtschaftlichen Praktiken, Fischbeständen, dem Sammeln von Früchten, Jagdzeiten, Ritualen und Bräuchen mit den jährlich stattfindenden (klimatischen) Zyklen fest. Tägliche Aufzeichnungen dienen dabei als Grundlage für die Analyse. Sie werden zu einer Jahresübersicht zusammengeführt und mit dem traditionellen Kalender der Tukano verglichen.
Sternbilder am Abendhimmel
Diesem kosmischen Kalender liegen die unterschiedlichen Sternbilder, welche jeweils am Abendhimmel zu sehen sind, zu Grunde. Sie bilden die Basis für die jährlichen Zyklen und den Wechsel zwischen Regen- und Trockenperioden. Das Erscheinen bestimmter Sternbilder steht in engem Zusammenhang mit bestimmten Landwirtschaftszyklen, Wachstum-, Reife- und Erntezeitpunkten gewisser Früchte, Laichzeiten und Wanderung bestimmter Fischarten.
Da der Rio Tiquié in Äquatornähe liegt, variieren diese Sternbilder kaum und erscheinen zumeist um die gleiche Uhrzeit. Die Regenzeiten sind dabei ebenfalls nach diesen Sternbildern benannt. In den Erzählungen der Völker des Rio Tiquié steht jede dieser Sternenkonstellationen in engem Zusammenhang mit einer Episode des Gründungsmythos.
Wissen über natürliche Zyklen ist essentiell
Die sauren und nährstoffarmen Böden und Gewässer des nordwestlichen Amazonasgebiets stellen komplexe ökologische Herausforderungen an seine Bewohner:innen – sie zu kennen, nutzen und verstehen erfordert jahrtausendelange Beobachtungen der natürlichen Lebenszyklen und eine generationenübergreifende Wissensweitergabe. Diese harschen Bedingungen bestimmen soziokulturelle Praktiken und Rituale und bilden die natürliche Grundlage für den jahreszeitlichen Kalender der Tukano. Die Übereinstimmung der natürlichen Zyklen ist für die Bewohner:innen des Rio Tiquié daher essentiell, denn sie ernähren sich vordergründig aus der sie umgebenden Natur und sind auch teilweise auf das Vorkommen gewisser Pflanzen für die Vorsorge und Heilung bestimmter Erkrankungen angewiesen.
Die Gegenüberstellung der durch die indigenen Umweltbeauftragten gesammelten Aufzeichnungen mit westlichen Klimadaten veranschaulicht das komplexe Verständnis über natürliche Kreisläufe, welches die indigenen Völker der Region besitzen. Aufgrund ihrer Innensicht auf die ökosystemischen Kreisläufe gelten die indigenen Bewohner:innen als zentral für den Erhalt der natürlichen Artenvielfalt und in weiterer Folge auch für den Klimaschutz.
Zyklen verschieben sich zunehmend
Leider zeigen die Beobachtungen immer deutlicher, dass die jährlichen Zyklen sich zunehmend verschieben und beispielsweise länger anhaltende Hochstände in den Flüssen dazu führen, dass bestimmte Fischarten nicht mehr vorkommen. Darum wurde der Kalender adaptiert und die einzelnen Kreise, die jeweils für bestimmte Naturphänomene stehen, sind nun verschiebbar – doch leider schafft dies nur bedingt Abhilfe, denn die Zyklen drohen durch die rasch voranschreitende Klimakrise immer weiter auseinanderzuklaffen.
Rio Negro kennenlernen
Wissensserie zur Partnerschaft der österreichischen Klimabündnis-Gemeinden mit der FOIRN, Dachverband der indigenen Organisationen am Rio Negro.
Teil 1: Indigene Sprachen
Teil 2: Rio Negro - der Schwarze Fluss
Teil 3: Rezept für süße Nachspeise
Teil 4: Das Weltbild der indigenen Völker
Teil 5: Maniokverarbeitung
Teil 6: Was ist die FOIRN?
Teil 7: Indigenes Kunsthandwerk
Teil 8: Gemüseanbau im Regenwald
Teil 9: Der Amazonas-Regenwald
Teil 10: Gemein-Gut Boden
Teil 11: Was ist das ISA?
Teil 12: Pimenta Baniwa
Teil 13: Der Kalender der Tukano